Mitbestimmung im Vertrieb

Wie Unternehmensdemokratie den Verkauf beflügeln kann

Verkaufstrainer Verkaufstraining interviewt Dr. Andreas Zeuch zum Thema Unternehmensführung und Steuerung und Führung im Vertrieb.

zeuchHerr Zeuch, Ihr neues Buch heißt „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten.“ Was kann man sich unter „Unternehmensdemokratie“ vorstellen?

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Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten.

Unternehmensdemokratie meint im Idealfall, die gesamte Belegschaft auch in unternehmensrelevante Entscheidungen wie Strategieentwicklungen miteinzubeziehen. Sie also auch bei den Entscheidungsprozessen ins Boot zu holen, die normalerweise der Geschäftsführung oder dem Vorstand obliegen. Selbstverständlich gibt es eine große Bandbreite, viele Formen von Unternehmensdemokratie und wie sie in einem Unternehmen konkret verwirklicht wird. Ganz wichtig dabei: Unternehmensdemokratie heißt nicht zwangsläufig die Abschaffung formal-fixierter Hierarchie oder das, wie das mittlerweile bei einigen Unternehmen geschieht, dass die Führungskräfte bis zum Topmanagement gewählt werden. Das sind nur zwei Versionen von viel mehr Möglichkeiten.

Führt Unternehmensdemokratie automatisch zu guter oder nachhaltiger Unternehmensführung?

Das ist eine Frage der Perspektive: Wer beurteilt, was „gut“ oder „nachhaltig“ bedeutet? Und für wen? Gute Unternehmensführung kann natürlich auch sehr konservativ interpretiert werden: Gut für den Inhaber oder das Topmanagement. Es kann natürlich auch gut für die gesamte Belegschaft gemeint sein oder sogar alle Stakeholder, das ist dann etwas völlig anderes. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff „nachhaltige Unternehmensführung.“ So betrachtet erhöht Unternehmensdemokratie die Wahrscheinlichkeit, dass es zu guter und nachhaltiger Unternehmensführung zumindest für alle Betroffenen innerhalb des Unternehmens kommt. Schließlich dürfen in einem demokratisch geführten Unternehmen wesentlich mehr Mitarbeiter und Führungskräfte mitbestimmen, als in top-down geführten Unternehmen. Das hat dann natürlich einen Einfluss auf die soziale Nachhaltigkeit in einem Unternehmen.

Welche weiteren Vorteile bringt Unternehmensdemokratie mit sich? Warum plädieren Sie dafür?

Es gibt verschiedene Vorteile, die für ein Unternehmen aus einer demokratischen EntscheidungsKultur entstehen können. Dabei sind zwei große Bereiche zu unterscheiden: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile. Wie ich in meinem Buch zeige, führt die Demokratisierung keineswegs in Chaos oder zumindest wirtschaftlichen Abstieg oder Stagnation. Alle Fallbeispiele zeigen genau das Gegenteil. Seit der Demokratisierung habe sich auch verschiedene betriebswirtschaftliche Kennzahlen zum Teil erheblich verbessert. Das liegt wohl auch daran, dass Arbeitnehmer zusätzliches Engagement über arbeitsvertragliche Regelungen hinaus zeigen, was natürlich auch die Vertriebsmitarbeiter einschließt. Ergänzend zeigen seit mehreren Jahrzehnten durchgeführte Studien, dass Unternehmensdemokratie die Belegschaft zu demokratisch kompetenteren Bürgern machen kann. Mitarbeiter, die konsequent bei Ihrem Arbeitgeber mitbestimmen dürfen, zeigen stärkeres politisches, kulturelles und Engagement. Kurz: Es gibt eine Menge Vorteile durch Unternehmensdemokratie.

Das klingt ja nicht schlecht, aber bedeutet die Demokratisierung nicht einen großen Change? Welche Konsequenzen hat ein solcher Prozess für das Changemanagement?

Auch hier gibt es keine vorgefertigte Antwort. Das hängt in hohem Maß davon ab, welche Unternehmens- und EntscheidungsKultur in einem Unternehmen bisher vorherrscht. Dabei gehe ich davon aus, dass ein komplett autokratisch geführtes Unternehmen, also eine Firma, in der der Geschäftsführer nicht nur alle unternehmensrelevanten Entscheidungen alleine trifft, sondern auch knallhartes Mikromanagement betreibt und allen Mitarbeitern in ihre tägliche Arbeit reinregiert, wohl kaum auf die Idee kommt, das Unternehmen plötzlich zu demokratisieren. Das klingt eher nach einem Ammenmärchen. Die Unternehmen, über deren demokratische Entwicklung ich in den Fallbeispielen berichte, zeigten zumindest eine grundsätzliche Wertschätzung der Belegschaft gegenüber und haben die Mitarbeiter nicht vollkommen instrumentalisiert. Trotzdem ist es richtig: Der Schritt in Richtung Demokratisierung kann einen sehr großen Schritt bedeuten. Dabei ist es dann wichtig, sich Zeit zu lassen, geduldig zu sein und nicht zu erwarten, dass die Mitarbeiter auch sofort alle Verantwortung übernehmen wollen, die ihnen neuerdings angeboten wird. Der Change umfasst dann immer auch dauerhaft flankierende Weiterbildungsangebote, im Idealfalle selbstbestimmt durch die Mitarbeiter. Die Konsequenz für das Changemangement liegt darin, dass die Mitarbeiter den Veränderungsprozess eben maßgeblich mitbestimmen, dass nicht über sie hinweg Veränderungen vorgeschrieben werden. Beispielsweise kam es in einem Unternehmen, dass ich portraitiert habe, zu der Erneuerung des Leitbildes, nachdem eine Mitarbeiterin den Geschäftsführer darauf aufmerksam machte, dass das alte Leitbild nicht mehr zu den gemeinsam erarbeiteten Unternehmenswerten passt.

Was bedeutet das alles für den Vertrieb und die Vertriebsmitarbeiter?

Unternehmensdemokratie ist so wie alles andere keine Garantie für mehr vertrieblichen Erfolg, kann aber die Chance darauf deutlich verbessern. So konnte ein Unternehmen, dass unter anderem im Bereich Handel tätig ist, seine zwei wichtigsten Vertriebssparten über einen Zeitraum von 25 Jahren um 45 beziehungsweise 127 Prozent steigern. Der Umsatz dieses Unternehmens stieg in diesem Zeitraum um beachtliche 547 Prozent. Je nachdem, welche konkrete Form eine Unternehmensdemokratie annimmt, kann es beispielsweise sein, dass die Verkäufer gar keine zentralen Vorgesetzten mehr haben, die ihnen entsprechende Ziele vorgeben. Stattdessen stehen sie in einer engen, kollegialen Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterin aus der Produktion und haben das selbsterklärte Ziel, diesen Kollegen möglichst stabile und einträgliche Arbeit zu verschaffen – was am Ende dazu führt, dass alle erfolgreicher sind.

Was würden Sie Geschäftsführern oder Vorständen raten, die mehr Mitbestimmung und Partizipation für ihr Unternehmen wollen?

Erstens, dass nur dann anzugehen, wenn sie es wirklich wollen. Die Demokratisierung ist kein neues Betriebssystem, was einfach im Unternehmen hochgeladen wird. Zweitens sollten sie bereit sein, auch an sich selbst zu arbeiten. Das ist vielleicht sogar einer der wichtigsten Punkte, denn schließlich geht es auch darum, die eigene Gestaltungsmacht zukünftig zu teilen. Drittens Geduld, wie schon einmal angedeutet. Ein Wandel in diese Richtung geht nicht von heute auf morgen. Viertens braucht es Gleichgesinnte. Denn es wird Gegenwind kommen, nicht nur aus dem Unternehmen selbst, sondern auch von außerhalb.

Vielen Dank für das Interview